An das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
Dienstsitz Braunschweig
Postfach 1564
38005 Braunschweig
Notfallzulassung Cruiser 600 FS,
Ihr Bescheid vom 18.12.2020 und Ihr Änderungsbescheid vom 22.12.2020
Sehr geehrter Herr Dr. Waldmann,
nachdem am 25. Januar 2021 die Notfallzulassung zur Ausbringung von mit dem Neonicotinoid Thiamethoxam gebeizten Rübensaatguts im Rahmen einer Allgemeinverfügung in Rheinland-Pfalz endgültig genehmigt wurde, unsere Einwände bisher aber nicht berücksichtigt wurden, wenden wir uns nun an Sie und bitten das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) den Zulassungsbescheide dahingehend zu ändern, dass
- Die in der Fachmeldung des BVL vom 14.12.2020 stehende Formulierung „Imker oder Bienensachverständige im Umkreis der Aussaatflächen sind vor der Aussaat zu informieren.“ wieder in die Anwendungsbestimmungen aufgenommen wird. Die vom Land Rheinland-Pfalz vorgesehene viel zu großflächige Informationsabsicht auf Landkreisebene ist aus fachlicher Sicht ungeeignet ein Schadensmonitoring an Bienenvölkern durchzuführen. Des weiteren haben auch biologisch wirtschaftende Feldnachbarn ein Anrecht auf die Information.
- Um dem Sachverhalt zu entsprechen, dass von der Aussaat des mit Thiamethoxam behandelten Saatguts nicht nur die Honigbienen der Imker, sondern auch Wildbienen und andere Insekten sowie Vögel aber auch die Grundwasserkörper betroffen sind wünschen wir, dass auch betroffene Umweltverbände, die zuständigen Umweltministerien sowie das Umweltbundesamt mit in den Zulassungsprozess einbezogen werden.
- Es ist mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Schädigung der Bienenvölker durch Neonicotinoide überwiegend subletal erfolgt. Die Bienen, die Drohnen und die Bienenkönigin, also der Bien, wird durch den Pestizideintrag als Ganzes in seiner permanenten Reproduktion geschädigt. Daher muss das Monitoring dahingehend geändert werden, dass eine Überwachung der Neonicotinoidrückstände im Bienenbrot erfolgt und Populationsveränderungen der Wildbienen erfasst werden. Die Ergebnisse sind öffentlich zugänglich zu machen.
Zum Hintergrund meiner Forderung: In der letzten Woche sind uns während der virtuellen AgrarWinterTage, einer Veranstaltung des DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück die Hintergründe dieser Notfallzulassung bekannt geworden.
Das DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück ist als Antragsteller der Notfallzulassung von Cruiser 600 FS als staatliche Behörde Dienstleister der Südzucker AG und diverser Rüben-Anbau-Verbände. Am 26. Januar 2021 fand die Zuckerrüben-Fachversammliung 2021 als virtuelle Live-Übertragung im Internet statt. Referenten waren:
- Dr. Georg Vierling Direktor Geschäftsbereich Zucker/Rüben der Südzucker AG,
- Dr. Christian Lang, Geschäftsführer des Verbandes der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer und Koordinator des NIKIZ-Projektes
- Michael Adams Leiter der Rohstoffabteilung Offstein der Südzucker AG und
- Axel Siekmann Versuchstechniker der Arbeitsgemeinschaft Zuckerrübe Südwest vom Verband Süddeutscher Zuckerrübenanbauer e. V.
Insgesamt ein hochkarätig besetztes Panel dem in etwa 200 Zuhörer vermutlich überwiegend aus der Landwirtschaft und einige Imker folgten.
Wir Imker gehen davon aus, dass der Antrag auf Notfallzulassung von Cruiser 600 FS mit dem Neonicotinoid Thimethoxam durch das DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück im wesentlichen mit den dort veröffentlichten Informationen erfolgte. Wir gehen weiter davon aus, dass dieser Antrag im wesentlichen auf die Südzucker AG zurückzuführen ist und sind der Ansicht, dass hier eine staatliche Behörde auf Betreiben eines privatwirtschaftlichen Unternehmens mittels der Drohkulisse sinkender Erträge eine unerlaubte Beihilfe erhält.
Weiter sind wir der Ansicht, dass die der Zulassung zugrundeliegenden Daten sowie die damit verbundene Anwendungsbestimmung der Zulassung eines in der Europäischen Union verbotenen Neonicotinoides Thiamthoxam nicht ausreichen um die Notfallzulassung zu rechtfertigen.
In den von Dr. Georg Vierling vorgestellten Geschäftszahlen zeigt sich, dass die Zuckererträge deutschlandweit in Tonnen pro Hektar in den letzten beiden Jahren nahezu gleich waren. Die Anbaufläche wurde insgesamt um 12% verringert, Rübenertrag und Zuckergehalt sind leicht um 3% gesunken.
Wohl aufgrund vergangener schlechter Weltmarktpreise für Zucker macht die Südzucker AG noch immer erhebliche Verlust im operativen Ergebnis. Diese Verluste konnten durch sich erholende Weltmarktpreise von -236 Mio. € in 2019/2020 auf voraussichtlich -150 bis -110 Mio. € in 2020/2021 reduziert werden. Stellt sich die Frage was das mit der Notfallzulassung zu tun hat?
Die Südzucker AG bewegt sich nun im Spannungsfeld sinkender Anbauflächen, verbunden mit trockenheitsbedingten Ertragsausfällen bei gleichzeitig steigenden Marktpreisen für Zucker. Und das ist der eigentliche Notfall. Die Aktie der Südzucker AG notiert nahe historischer Tiefststände, die Verluste lassen sich aufgrund weiterer Rückgänge in den Anbauflächen voraussichtlich nicht in Gewinne verwandeln, somit muss das was noch da ist mit allen Mitteln gesichert werden.
Die vorgetragenen Daten zeigen, dass man nun mit einem sich erholenden Zuckerpreis rechnet und die Anbaureduktionen der vergangenen zwei Jahre kontraproduktiv war. Um Gewinne zu sichern bzw. weitere Verluste zu vermeiden, versucht man nun eine Ertragsoptimierung auf Kosten des Naturschutzes. Denn wie eine Ertragsstatistik zeigt, sind die Ernteerträge in Tonnen pro Hektar der vergangenen 7 Jahre alle noch deutlich über dem langjährigen Mittel und das obwohl die vergangen drei Jahre von extremer Trockenheit gekennzeichnet waren.
Inwieweit die Trockenheit und die damit verbundenen Auflaufprobleme für eine Ertragsminderung in 2020 verantwortlich sind wird ignoriert. Stattdessen werden Läuse und Zikaden gesucht und auch gefunden. Diese übertragen dann Viren und Bakterien welche dann für einen nicht ausreichenden Zuckergehalt verantwortlich sind, welcher tatsächlich zugenommen hat. Belegt mit statistischen Ertragsauswertungen bei denen der Berechnungsindex mal eben um 200 Betriebe erhöht wird. Nur damit danach überhaupt eine paar Betriebe am unteren Verteilungsrand zu sehen sind.
Weiter braucht es dann noch ein bisschen Panikmache wie „Pandemie auf dem Acker“, eine Drohkulisse bezüglich Ernteausfall und damit verbundene wirtschaftliche Folgen, ein wenn auch nur einseitiges auf die Eigeninteressen ausgerichtetes wissenschaftliches Netzwerk wie NIKIZ und fertig ist der Notfall und seine Begründung.
Die systemimmanente Schwäche der seit Jahrzehnten gleichen Fruchtfolgen von Zuckerrüben, Weizen, Gerste in unmittelbarer Nähe zu den Zuckerfabriken wird vollkommen außer acht gelassen.
Dort wo solche Monokulturen sind, das heißt tausende von Hektar an einem Stück mit einer Kultur über mehrere Jahre hintereinander, dort werden sich natürlich bestimmte Schädlinge vermehren und Krankheiten werden sich einstellen. Seit 1883 werden im Werk Offstein Zuckerrüben verarbeitet. Diese werden seit Jahrzehnten in der gleiche Region von den gleichen Landwirten auf den gleichen Feldern angebaut. Das ist ein systemimmanentes Problem und kein Notfall.
Folglich erteilt das BVL dann auf einseitig erstellten und angeblichen wissenschaftlichen Grundlagen basierend eine Notfallzulassung. Auf Ihrer Internetseite heißt es: „Auch bei Notfallzulassungen stellt das BVL sicher, dass die menschliche Gesundheit nicht gefährdet wird. Eventuelle Risiken für den Naturhaushalt werden durch spezifische Auflagen und Anwendungsbestimmungen minimiert.“
Thiamethoxam und sein Abbauprodukt Clothianidin stellen entsprechend der Cut Off-Kiterien der EU ein erhebliches menschliches Gesundheitsrisiko dar. Das scheint aber bei Notfallzulassungen nicht mehr zu interessieren. Es scheint auch als würden weder das BVL noch die Antragsteller interessieren, dass ein erheblicher Teil des Saatgutes in Gebieten ausgebracht werden soll, in welchen der Grundwasserkörper bereits an einzelnen Messstellen über die Grenzwerte hinaus mit Pestiziden belastet ist (Vortrag Dr. Fritsch, AgrarWinterTage 2020, LfU-RLP Chemischer Zustand der GWK 2019).
Die vom BVL bisher gemachten Anwendungsbestimmungen zu Cruiser 600 FS sind ebenso in keinster Weise geeignet den Naturhaushalt zu schützen. Ein minimieren der Risiken ist in Anbetracht der additiv auf den Rübenäckern eingesetzten Herbizide und Fungizide unmöglich. Besonders bedenklich ist die Tatsache, dass im Jahresverlauf dann weitere Insektizide auf den Flächen ausgebracht werden sollen. Der dadurch entstehende Pestizidcocktakil ist weder beherrschbar noch wird er durch ein geeignetes Monitoring überwacht.
Sehr geehrter Herr Dr. Waldmann, wir würden uns wünschen, dass mit der gleichen Sorgfalt, mit der Läuse und Zikaden beobachtet werden auch der Naturhaushalt beobachtet wird. Daher die Eingangs genannten Forderungen, denn neben den Imkern hat auch die Gesellschaft das Recht, diese angeblichen Notfälle kritisch zu beobachten und wissenschaftlich zu begleiten.
Ihre Behörde hat im Jahr 2020 insgesamt 75 Notfallzulassungen erteilt. Hierbei wird das Ausbringen von Stoffen ermöglicht die aus guten wissenschaftlich basierten Gründen verboten wurden. Die Gesellschaft kann und darf diese Praxis nicht mehr hinnehmen. Der immer wiederkehrenden einseitigen Darstellung von Gefahren für die Gesundheit von Kulturpflanzen muss ein wissenschaftlich basiertes Monitoring der Gefahren für Mensch und Natur gegenüber gestellt werden.
Die Definition eines Notfalls darf nicht einseitig und alleine denen überlassen werden, die davon profitieren. In Anbetracht der bevorstehenden Aussaat bitten ich um Änderung des Zulassungsbescheides entsprechend der Eingangs genannten Forderungen.